Das Via Nova Kunstfest Corvey würdigt in diesem Jahr mit einem besonderen Programm das 1200-jährige Gründungsjubiläum des Klosters Corvey und fragt: Was ist Glück. Diese Frage bewegte schon die Corveyer Mönche im Mittelalter, in ihrer Bibliothek studierten sie einen der bedeutendsten Texte der Antike „Trost der Philosophie“ von Boethius, Abt Bovo II. verfasste dazu einen Kommentar. 

An drei Wochenenden vom 26.8. bis zum 25.9. 2022 werden mit Literatur, Musik und Gesprächen Orte und Zeiten aufgesucht, die für Corvey von Bedeutung waren. Es geht, so die künstlerische Leiterin Brigitte Labs-Ehlert, nach Irland und Frankreich sowie in den Norden Europas nach Dänemark und Schweden. Musikensembles aus diesen Ländern treffen auf Solisten und Formationen aus dem deutschsprachigen Raum. Große Stars der Schauspielkunst wie Martina Gedeck, Ulrich Noethen oder Klaus Maria Brandauer lesen faszinierende Texte, die von Trost und Glückseligkeit handeln, Musiktheater ist in einer Uraufführung zu erleben, ein Kammerballett wird aufgeführt, Exkursionen mit Veranstaltungen führen in die mit Corvey verbundenen Klöster Bursfelde, Lippoldsberg und Marienmünster und zum Finale wird ein Fest gefeiert. Corvey war immer auch ein Ort der Gelehrsamkeit und der Bildung, weswegen die historischen Ereignisse in Vorträgen beleuchtet werden. Das Programm bindet Corvey in einen europaweiten Kontext ein und hebt noch einmal seine heutige internationale Bedeutung hervor, betont Hausherr Viktor Herzog von Ratibor. Das Eröffnungswochenende vom 26. bis 28. August wandert gedanklich vor allem nach Irland und Frankreich. Länder des geistigen wie auch realen Ursprungs des Klosters Corvey, das vom französischen Mutterkloster Corbie aus gegründet wurde. Alle Lesungen stehen ganz im Zeichen des Trostes. Boethius’ Abhandlung „Trost der Philosophie“, jener Text von dem das diesjährige Festival seinen gedanklichen Ausgang nimmt, wird von der Burgschauspielerin Birgit Minichmayr gelesen. Der Gräzist Christian Vogel ordnet diese Schrift in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang ein. Für die Festrede wurde der große europäische Romancier John Burnside gewonnen. Tatsächlich fand er während der Pandemie Trost in der Philosophie, er spricht über die Möglichkeit einer neuen Lebenskunst. Mit Sabine Meyer tritt eine der weltbesten Klarinettisten zusammen mit Reiner Wehle und dem Armida Quartett auf. „Himmelsmusik“ ist am 27.8. in einer Matinee in Bursfelde mit Fortsetzung in Lippoldsberg zu hören. Gespielt wird sie vom international umjubelten Barockensemble L’Arpeggiata unter der Leitung der Lautenistin Christina Pluhar, zusammen mit der Sopranistin Celine Scheen und dem Countertenor Kascper Szeląźek. Sibylle Canonica liest eine berührende Erzählung von A.L. Kennedy über ein glückendes Leben. 

In Corvey treffen in der Abendveranstaltung in den Lesungen von Fritzi Haberlandt und Hans Löw Skandinavien und Frankreich, der letzte und der erste Augenblick in einem Leben, zusammen, begleitet von einem Konzert des Cellisten Steven Isserlis. In der Matinee am Sonntag werden Gedichte der irischen Nobelpreisträger W. B. Yeats und Seamus Heaney von Wolfram Koch und Albrecht Schuch vorgetragen und die selten zu hörenden Irischen Lieder von Ludwig van Beethoven werden vom Ricercar Consort interpretiert. 

Das zweite Veranstaltungswochenende vom 9. bis 11. September könnte mit der Gedichtzeile „Geh auf, mein’s Herzens Morgenstern“ von Angelus Silesius überschrieben werden, so Brigitte Labs-Ehlert. Trauer, Trost und immer wieder das Glück einer erfüllten Hoffnung sind in der Uraufführung einer Kammermusik von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel zum bekanntesten Gedichtzyklus der dänischen Lyrikerin Inger Christensen, „Das Schmetteringstal. Ein Requiem“, zu erleben. Dieser Gedanke setzt sich fort in der Matinee am Samstag in der Abtei Marienmünster, wenn sich in den Lesungen von Fabian Hinrichs und Ulrich Noethen die alte nordische Jenseitsvision „Traumlied des Olaf Asteson“ mit den zeitgenössischen Überlegungen des schwedischen Romanciers Lars Gustafsson über die andere Seite des Lebens begegnen. Einen Resonanzraum finden die ermutigenden Texte im Konzert des schwedischen Kammerorchesters O/Modernt. Über die Umstände, die zur Taufe des Dänenkönigs Harald Blauzahn führten, berichten Lesung, Vortrag und Gespräch am Nachmittag in Corvey mit Fabian Hinrichs, Oliver Auge und Stefan Trinks. Wie eine Freundschaft Unglück, Verzweiflung und sogar den Tod überwinden kann, davon liest Sebastian Koch am 10.9. abends in der Corveyer Abteikirche. Davon singt auch die Violine von Maria Ioudenitch, begleitet von der Kammerakademie Potsdam. 

Noch einmal wird dieser nordisch-französische Schwerpunkt in der Lesung von Martina Gedeck in der Matinee am Sonntag aufgegriffen und ergänzt um ein geheimnisvolles, melancholisches und doch zuversichtlich-hoffendes modernes Märchen von Ingeborg Bachmann. Zu dieser großartigen Matinee erwarten wir Sir András Schiff. 

Am Jubiläumswochenende vom 23. bis 25. September schließt sich der Bogen, wenn nun aus moderner und zeitgenössischer Sicht die Frage nach Glück und Glückseligkeit gestellt wird, die Antwort, eine Antwort ist nicht weit von Boethius entfernt: Sie bedeutet, sich den anderen Menschen und Wesen gegenüber zu öffnen und das eigene überbewertete Ich unterzuordnen einer größeren vielfältigen Gemeinschaft. Da sind zunächst am 23.9. Jens Harzer und das Trio Vitruvi mit Tänzern des Royal Danish Ballett zu erleben und da wird Klaus Maria Brandauer am 25.9. davon lesen, wie es gelingen kann, ein Lächeln hervorzuzaubern, das selbst Glück verspricht. Am Vorabend des Jubiläumstages erfüllen sich die Räume im Schloß und die Abteikirche mit jubelnder Musik in den Konzerten des Kammerorchesters Capella Gabetta mit Arien von Händel und Vivaldi und mit „Gypsy Baroque“ des Ensembles Il Suonar Parlante. Zuvor erläutert der Historiker Karl Ubl, warum die Gründung von Kloster Corvey ein Monument der Versöhnung von Franken und Sachsen war. Könnte es Liebe sein, fragt Andrea Sawatzki mit Virginia Woolf, bevor das Publikum des Kunstfestes in ein sinnreiches Lichtspektakel im nächtlichen Park entlassen wird.